Die Berichtigung von Daten betreffend die Geschlechtsidentität darf nicht vom Nachweis einer Operation abhängig gemacht werden.
Im Jahr 2014 wurde einer Person mit iranischer Staatsangehörigkeit in Ungarn die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wobei sie sich auf ihre Transidentität berufen und psychiatrische und gynäkologische Atteste vorgelegt hatte. Nach diesen Attesten wurde diese Person zwar als Frau geboren, hatte jedoch eine männliche Geschlechtsidentität. Nach der Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft auf dieser Grundlage wurde diese Person aber als Frau in das Flüchtlingsregister eingetragen, das von der ungarischen Ausländerbehörde geführt wird und die Identifikationsdaten, darunter das Geschlecht, der Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft in Ungarn zuerkannt worden ist, enthält.
Im Jahr 2022 stellte die betroffene Person bei dieser Behörde auf der Grundlage derselben ärztlichen Atteste nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) u. a. einen Antrag auf Berichtigung der Angabe ihres Geschlechts im Flüchtlingsregister. Dieser Antrag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, die Betroffene habe nicht nachgewiesen, dass sie sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen habe.
Die betroffene Person erhob gegen diese Ablehnung Klage beim Hauptstädtischen Stuhlgericht (Ungarn). Unter Hinweis darauf, dass das ungarische Recht kein Verfahren zur rechtlichen Anerkennung der Transidentität vorsehe, möchte dieses Gericht vom Gerichtshof zum einen wissen, ob nach der DSGVO eine mit der Führung eines öffentlichen Registers betraute nationale Behörde verpflichtet ist, personenbezogene Daten betreffend die Geschlechtsidentität einer natürlichen Person zu berichtigen, wenn diese Daten nicht richtig sind, und zum anderen, ob ein Mitgliedstaat mittels Verwaltungspraxis die Ausübung des Rechts auf Berichtigung solcher Daten davon abhängig machen kann, dass insbesondere eine geschlechtsangleichende Operation nachgewiesen wird.
Als Erstes hält der Gerichtshof fest, dass die betroffene Person nach der DSGVO, insbesondere nach dem darin verankerten Grundsatz der Richtigkeit, das Recht hat, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Diese Bestimmung konkretisiert somit das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerte Grundrecht, wonach jede Person das Recht hat, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtigkeit und die Vollständigkeit dieser Daten im Hinblick auf den Zweck zu beurteilen sind, für den die Daten erhoben wurden.
Im vorliegenden Fall weist der Gerichtshof nach der Feststellung, dass die betreffende Verarbeitung in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt, darauf hin, dass es dem ungarischen Gericht obliegt, die Richtigkeit der in Rede stehenden Angabe im Hinblick auf den Zweck, für den sie erhoben wurde, zu prüfen. Sollte die Erhebung dieser Angabe der Identifizierung der betroffenen Person dienen, dürfte sich diese Angabe wohl auf die von dieser Person gelebte Geschlechtsidentität beziehen und nicht auf die, die ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass ein Mitgliedstaat das Recht auf Berichtigung nicht mit der Begründung verweigern kann, dass es in seinem nationalen Recht kein Verfahren zur rechtlichen Anerkennung von Transidentität gebe. Denn das Unionsrecht lässt zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Personenstands und der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität unberührt, diese Staaten müssen bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch das Unionsrecht, einschließlich der DSGVO im Licht der Charta, beachten.
Folglich kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die DSGVO dahin auszulegen ist, dass danach eine mit der Führung eines öffentlichen Registers betraute nationale Behörde verpflichtet ist, personenbezogene Daten betreffend die Geschlechtsidentität einer natürlichen Person zu berichtigen, wenn diese Daten nicht richtig im Sinne dieser Verordnung sind.
Als Zweites stellt der Gerichtshof fest, dass eine natürliche Person für die Zwecke der Ausübung ihres Rechts auf Berichtigung verpflichtet sein kann, relevante und hinreichende Nachweise vorzulegen, die vernünftigerweise verlangt werden können, um die Unrichtigkeit dieser Daten festzustellen. Ein Mitgliedstaat darf die Ausübung des Rechts auf Berichtigung jedoch keinesfalls davon abhängig machen, dass eine geschlechtsangleichende Operation nachgewiesen wird.
Ein solches Erfordernis beeinträchtigt nämlich insbesondere den Wesensgehalt des Rechts auf Unversehrtheit (Art. 3 der Charta) und des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 der Charta). Außerdem ist ein solches Erfordernis jedenfalls weder notwendig noch verhältnismäßig, um die Zuverlässigkeit und Kohärenz eines öffentlichen Registers wie des Flüchtlingsregisters zu gewährleisten, da ein ärztliches Attest, einschließlich einer vorherigen Psychodiagnostik, insoweit einen relevanten und hinreichenden Nachweis darstellen kann.
Fundstelle:
Pressemitteilung Nr. 34/25 des Europäischen Gerichtshofs vom 13. März 2025 – abrufbar im Internet unter https://curia.europa.eu/jcms/jcms/p1_4830389/de/