BAG lockert Anforderungen an anwaltliche Sorgfaltspflicht bei Fristen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat seine Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bei der Überprüfung von Fristen gelockert. In einem am 20. Februar 2025 verkündeten Urteil entschied der Sechste Senat, dass sich Anwältinnen und Anwälte bei der Prüfung von Rechtsmittelbegründungsfristen grundsätzlich auf die Vermerke in der Handakte verlassen dürfen und nicht zusätzlich den Fristenkalender kontrollieren müssen.

Mit seiner Entscheidung folgt das BAG nun der bereits etablierten Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofs (BGH). Der Sechste Senat hatte im Vorfeld der Entscheidung eine Divergenzanfrage an mehrere andere Senate gestellt, um eine einheitliche Rechtsauffassung sicherzustellen. Der Erste, Dritte, Achte und Neunte Senat stimmten dem Rechtsprechungswechsel zu, wodurch die vom BGH vertretene Position nun auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit gilt.

Die Entscheidung des BAG orientiert sich dabei an den BGH-Urteilen vom 17. Mai 2023 (Az. XII ZB 533/22) und 19. Oktober 2022 (Az. XII ZB 113/21), die bereits eine entsprechende Lockerung der Anforderungen vorgenommen hatten.

Klare Grenzen der Eigenverantwortung
Nach der neuen Rechtsprechung müssen Anwältinnen und Anwälte den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen weiterhin eigenverantwortlich prüfen, wenn ihnen die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt werden. Hierbei müssen sie auch alle weiteren unerledigten Fristen sowie deren korrekte Notierung in den Handakten kontrollieren.

Entscheidend ist jedoch die Einschränkung: Solange sich keine Zweifel an der Richtigkeit der Vermerke in der Handakte aufdrängen, dürfen sich die Rechtsvertreter auf diese verlassen. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur eigenständigen Kontrolle des Fristenkalenders besteht nicht mehr.

Erfolgreicher Wiedereinsetzungsantrag als Auslöser
Anlass für die Grundsatzentscheidung war ein Fall, in dem ein Lehrer an einer Privatschule gegen eine vermutete Altersdiskriminierung bei der Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen geklagt hatte. Der Anwalt des Lehrers hatte die Frist zur Begründung der Revision versäumt und einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Der Rechtsanwalt hatte glaubhaft gemacht, dass er die Fristen auf Grundlage der Handakten geprüft hatte, ohne den von seiner Rechtsanwaltsfachangestellten geführten Fristenkalender zusätzlich zu kontrollieren. Das BAG gab dem Wiedereinsetzungsantrag statt und urteilte, dass kein dem Mandanten zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorlag.

Entlastung für die Anwaltschaft
Die Entscheidung stellt eine deutliche Erleichterung für die anwaltliche Praxis dar. Die bisherige „Formel von der stets zuverlässigen Bürokraft“ bleibt zwar grundsätzlich bestehen – Anwältinnen und Anwälte müssen weiterhin durch eine vernünftige Büroorganisation sicherstellen, dass Fristen ordnungsgemäß bearbeitet werden. Die Anforderungen an die persönliche Nachkontrolle wurden jedoch maßgeblich reduziert, was die tägliche Arbeit in Kanzleien erleichtern dürfte.

Für die Praxis bedeutet dies: Solange eine ordnungsgemäße Kanzleiorganisation glaubhaft gemacht werden kann und keine Zweifel an der Richtigkeit der Fristvermerke in den Handakten bestehen, reicht die Kontrolle dieser Vermerke aus. Eine zusätzliche Überprüfung des Fristenkalenders ist nicht mehr erforderlich.

Quellen:

BAG, Urteil vom 20.02.2025 – 6 AZR 155/23

https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/kontrollpflichten-eines-rechtsanwalts-bei-fristsachen-aenderung-der-rechtsprechung-2/

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bag-6azr15523-frist-sorgfaltspflicht-anwaelte-bgh

Tags: Betriebsrat