Sowohl die Erhebung öffentlich zugänglicher Daten als auch die der Übersendung eines Werbeschreibens zugrundeliegende Verarbeitung der Daten kann in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f DSGVO erfolgen.
Sachverhalt
Die Beklagte übersandte an den Kläger einen Werbebrief mit Werbung für Produkte eines Auftraggebers. Daraufhin forderte der Kläger von der Beklagten Auskünfte und die Löschung seiner Daten. Die Beklagte antwortete, sie habe die Daten von einem Unternehmen aus der Schweiz erhalten und diese im Auftrag zu Marketingzwecken auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f DSGVO verarbeitet, ohne die Daten selbst an den Auftraggeber zu übermitteln (sog. Lettershop-Verfahren). Der Kläger hatte nicht in eine derartige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten eingewilligt. Eine Kundenbeziehung zur Beklagten oder deren Geschäftspartnern bestand nicht.
Der Kläger vertrat die Auffassung, die Beklagte habe seine personenbezogenen Daten ohne Rechtsgrund verarbeitet, indem sie den Werbebrief zugesandt habe. Nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung sei Direktwerbung zulässig. Er machte einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. Artikel 82 DSGVO in Höhe von 3.000,00 Euro geltend.
Das Landgericht Stuttgart hatte die Klage abgewiesen. Die Zusendung des Werbeschreibens sei rechtmäßig im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f DSGVO. Es sei anerkannt, dass das Vermitteln gewerblicher Informationen ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die Interessen des Klägers überwögen nicht die Interessen der Beklagten bzw. deren Auftraggeber. Es sei keine Voraussetzung, dass vor der Direktwerbung bereits ein Kundenverhältnis bestanden habe. Sonstige Verstöße der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung habe der Kläger nicht belegt, insbesondere nicht die Übermittlung von Daten an Dritte.
Mit seiner Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart verfolgte der Kläger seine Ansprüche weiter.
Auszüge aus dem Urteil des OLG Stuttgart
Der Senat des OLG ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Das Landgericht habe zutreffend und überzeugend herausgearbeitet, dass sowohl die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten als auch die der Übersendung des Werbeschreibens zugrundeliegende Verarbeitung der Daten in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f DSGVO erfolgte.
Für die Rechtmäßigkeit einer Direktwerbung sei nicht Voraussetzung, dass bereits eine Kundenbeziehung bestehe. Bei seiner Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f DSGVO habe das Landgericht überzeugend den Erwägungsgrund Nr. 47 herangezogen, der die Direktwerbung beispielhaft als berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Norm anerkennt. Unter diesem Begriff verstehe die Verordnung – etwa in Artikel 21 Absatz 2 DSGVO – jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person, etwa durch Zusendung von Briefen. Weder aus Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f DSGVO noch aus den Erwägungsgründen ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Direktwerbung nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Unter dem Begriff der berechtigten Interessen seien vielmehr sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen zu verstehen, die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Zutreffend habe das Landgericht auch gesehen, dass das berechtigte Interesse eines Dritten – hier das Interesse des Auftraggebers an der Verteilung der Werbebotschaft – dem Interesse des Beklagten als Verantwortlichen gleichstehe.
Weiter habe das Landgericht überzeugend herausgearbeitet, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erforderlich war. Insbesondere stehe der Erforderlichkeit nicht der Einwand entgegen, dass auch eine Übersendung der Werbung per elektronischer Post möglich wäre. Zwar sollen personenbezogene Daten nicht verarbeitet werden, wenn der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen. Dabei könne der Kläger die Beklagte allerdings nicht darauf verweisen, die Zusendung elektronischer Nachrichten sei weniger belastend für Betroffene. Nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung stellt die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. § 7 Absatz 2 Nr. 2 UWG), während die Zusendung eines Briefes mit einer sofort als Werbung erkennbaren Botschaft als zulässig bewertet wird.
Weiter habe das Landgericht auch überzeugend die Interessen der Streitparteien miteinander abgewogen und sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Alleine das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhalten, führe nicht zu einer ihm günstigen Interessenabwägung. Erst wenn er einen Widerspruch erhebt, sei die künftige Direktwerbung unzulässig (Artikel 21 Absatz 2 DSGVO).
Zutreffend habe das Landgericht auch die weiteren gerügten Handlungen nicht als Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung bewertet. Insbesondere sei der Kläger ganz offenkundig nicht im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 DSGVO einer ihm gegenüber verbindlichen oder erheblich beeinträchtigenden Entscheidung unterworfen worden, die auf einer automatisierten Verarbeitung seiner Daten getroffen wurde (sog. Profiling).
Unabhängig davon, dass datenschutzrechtliche Verstöße nicht feststellbar seien, habe der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, einen Schaden erlitten zu haben. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit überschreitet. Gleichwohl löst der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung einen Schadensersatzanspruch noch nicht aus. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Insoweit berufe sich der Kläger auf eine mit dem Verlust der Daten seelisch belastende Ungewissheit über das Schicksal der Daten. Dieser Vortrag genüge nicht für die Darlegung eines Schadens, denn es müsse festgestellt werden können, ob die Befürchtung einer künftigen missbräuchlichen Datenverwendung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden kann. Dies sei jedoch nicht ersichtlich auf der Grundlage der überzeugenden und unangefochtenen Feststellung des Landgerichts, dass die Beklagte die personenbezogenen Daten nicht an Dritte übermittelt hat. Zudem habe die Beklagte die Daten gelöscht bzw. intern mit einem Sperrvermerk versehen, um künftige Werbesendungen zu verhindern.
Fundstelle:
Beschluss des OLG Stuttgart vom 2. Februar 2024, Az. 2 U 63/22 – abrufbar im Internet beispielsweise unter https://dejure.org/ext/c244e9c59b39d23217bbce03965170f5